September 2020
Creaholic hat Erfindergeist in der DNA: In den 1980er-Jahren waren die Gründer des Unternehmens an der Erfindung der Swatch beteiligt. Heute entwickeln die innovativen Köpfe aus der Uhrenmetropole Biel gemeinsam mit anderen Firmen neue Produkte und Dienstleistungen. Worauf kommt es bei der Produkt- und Serviceentwicklung an? Und gibt es eine Formel, um Innovationen zu entwickeln? Ein Gespräch mit Mitgründer Marcel Aeschlimann.
Interview und Fotos: Stefan Jermann
Kindliche Neugierde und Verspieltheit hilft sicherlich, doch das Kreative ist nur die eine Seite. Um erfolgreiche Innovationen zu entwickeln, braucht es vor allem auch ein Gespür für den Markt und Leidenschaft fürs Unternehmertum.
Ich glaube schon. Viele Menschen haben einen Innovationssinn, doch diesen kann und muss man auch trainieren. Wir bei Creaholic machen das tagtäglich, denn das ist unsere Passion. Ein guter Skifahrer wird man ja schliesslich auch nicht ohne Training.
Meist gibt es nicht nur ein finales «Heureka!», sondern ganz viele davon. Bei bahnbrechenden Innovationen wird im Nachhinein oft nur die eine zündende Idee ins Zentrum gestellt, doch hinter einem erfolgreichen Produkt stecken in der Regel viele entscheidende Momente. Und immer wirken auch verschiedenste Personen mit, nicht nur ein genialer Kopf.
Ich habe die besten Ideen, wenn ich allein im Bett liege und denke – aber nur, wenn ich die Ideen vorher mit meinem Team intensiv diskutiert habe. Man muss die Fähigkeit haben, das Unterbewusstsein zu füttern, und das geht nur mit einem tollen Team. Die Idee muss quasi vom Team inspiriert werden. Schon die Griechen sagten: Wenn du eine gute Idee haben willst, so musst du dich von einer Muse inspirieren lassen. Wir bei Creaholic sind eigentlich alles Musen, die einander gegenseitig inspirieren.
Die besten Erfinder sind Zweifler. Ideen sind nur selten von Anfang an wirklich gut, die meisten sind noch nicht ausgereift, und man muss sie hinterfragen. Wer innovativ sein will, muss einerseits genügend Selbstsicherheit haben, um seinen Weg zu gehen, andererseits aber auch genügend selbstkritisch sein, um diesen Weg immer wieder zu hinterfragen.
Das ist in der Tat so. Wir Schweizer sind sehr hartnäckig, wenn es darum geht, eine Idee zum Erfolg zu bringen. Die Kehrseite davon ist, dass wir uns Fehler manchmal zu lange nicht eingestehen. Auch wir bei Creaholic mussten erst lernen, aus unseren Fehlern zu lernen. Heute können wir das besser als früher.
Es gibt Tausende von Innovationsbüchern, und jedes verkauft seine Methode als die einzig richtige. Mir kommt das manchmal ein wenig vor wie all diese Diätbücher. Das Entscheidende ist, zu wissen, welche Methode in der aktuellen Situation am besten geeignet ist.
Wir haben unseren eigenen Ansatz entwickelt, den «Gas-Liquid-Solid»-Mindset. Bei uns entstehen Innovationen in drei Phasen: Im Gas-Zustand sind die Moleküle frei, und Ideen können komplett neu gedacht werden. In der Liquid-Phase kondensieren sich die Ideen zu etwas Machbarem, und im Solid-Modus entsteht schliesslich die Lösung. Der Gas-Zustand ist der wichtigste. Bildlich gesprochen trifft dort das Molekül Stuhl mit dem Molekül Dynamit aufeinander – zusammen ergibt das die Idee des Schleudersitzes. Wer den Stuhl immer nur als Möbel denkt, würde darauf nicht kommen.
An vorderster Stelle steht für mich das Marktbedürfnis und an zweiter Stelle die Konkurrenzfähigkeit. Die Genialität des Produkts in technologischer Hinsicht kommt für mich erst an dritter Stelle, obwohl ich Ingenieur bin.
Viele glauben, dass bei Innovationen die Technologie im Zentrum steht. Das Kundenbedürfnis geht oft vergessen. HCD verfolgt die Philosophie, Produkte und Dienstleistungen mit einer konsequent kundenzentrierten Perspektive zu entwickeln. Das bedeutet in erster Linie, dass das neue Angebot relevante Lösungen für Kunden bieten muss. Apple ist ein gutes Beispiel dafür: Die Produkte fühlen sich gut an und sind einfach zu bedienen. Natürlich darf man dabei auch die Wirtschaftlichkeit nicht vergessen. Unserer Meinung nach ist die Treffsicherheit einer Innovation am höchsten, wenn man diese drei Aspekte – das Kundenbedürfnis, die Wirtschaftlichkeit und die Technologie – in den Mittelpunkt stellt.
Häufig ist das gar nicht die zentrale Frage, leider. Viele Unternehmen kommen bereits mit konkreten Ideen auf uns zu, welche wir stets genau durchleuchten. Wir wollen herausfinden, ob mit der Idee effektiv ein Kundenbedürfnis adressiert wird. Es ist ein wichtiger Teil des Innovationsprozesses, Bedürfnisse und deren Kontext genau zu überprüfen.
Indem man ein angenehmes Erlebnis kreiert. Ein gutes Beispiel dafür sind die Shops des Schweizer Telecom-Anbieters Swisscom. Früher waren diese eher kalt und steril. Heute erinnert das Interieur an eine gemütliche Küche. Es ist für den Kunden ein angenehmeres Erlebnis, wenn er Produkte in entspannter Atmosphäre ausprobieren kann, als wenn er einfach vor einem Regal steht.
Ich glaube, dass es für grosse Unternehmen grundsätzlich sehr schwierig ist, disruptive Innovationen auf den Markt zu bringen.
Wenn man den Mount Everest besteigt, dann fühlt man sich wohler in einem kleinen Team als in einem grossen. Genau so ist es in der Produktentwicklung. Unternehmen wie das unsrige erlauben es grossen Firmen, Innovationen in überschaubaren Teams zu entwickeln.
Nein. Wer agile Prozesse etablieren will, muss dazu bereit sein, alte Strukturen aufzubrechen. Aber es muss auch nicht jeder Unternehmenszweig agile Strukturen einführen. Bei Produktions- oder Logistikprozessen zum Beispiel sehe ich eher Nachteile.
Sie werden immer kleiner, denn die verschiedenen Wirtschaftszweige verschmelzen zunehmend. Ein Fahrzeug zum Beispiel hat heute auch eine Kommunikationsfunktion und ein Lebensmittel einen Gesundheitsaspekt.
Es geht darum, besser zu sein als die anderen. Mit besser meine ich vor allem den intelligenten Umgang mit Daten und Know-how. Speziell im westeuropäischen Raum, wo es nicht nur um den Preis geht, scheint mir das wichtig.
Ich bin der Digitalisierung gegenüber zu 100 Prozent positiv gestimmt, insbesondere, weil dadurch zeitraubende manuelle Prozesse automatisiert werden. Ich denke, wir können diese Zeit sinnvoller einsetzen. Natürlich hat jede Technologie auch ihre Schattenseiten: Man kann eine Smartwatch nutzen, um ein Date zu vereinbaren oder einen Terroranschlag zu verüben. Zum Glück nutzt aber die grosse Mehrheit neue Technologien in positiver Absicht.
Die Neandertaler standen wahrscheinlich deutlich mehr unter Druck als wir. Sie mussten sich vor wilden Tieren schützen und ständig ums Überleben kämpfen. Ich denke oft, dass wir in der Schweiz zu wenig Druck haben. Es geht uns einfach sehr gut, und das macht uns auch bequem. Die Coronakrise sorgt aktuell für etwas mehr Druck. Ich hoffe, dass wir dies für positive Veränderungen nutzen können.
Früher bin ich oft stundenlang gereist, um ein Meeting abzuhalten. Heute weiss ich, dass das nicht unbedingt nötig ist.
Das
Beamen. Ich denke, das könnten wir alle gut gebrauchen.